2.1 Menschliche Faktoren
Human factors basic concept
Der Mensch möchte wie ein Vogel fliegen, aber unser Körper ist nicht für das Fliegen konstruiert. Die beste Leistungsfähigkeit besitzen wir bei Bedingungen nahe der Standardatmosphäre und normaler Schwerkraft. Beim Fliegen können große Abweichungen von Schwerkraft, Luftdruck, Temperatur und Geschwindigkeit auftreten. Daran ist unser Körper nicht gewöhnt. Ein Segelflieger sollte wissen, was sein Körper leisten kann und welche Grenzen er beim Fliegen hat.
Dieses Kapitel wurde in folgende Unterabschnitte aufgeteilt:
- 2.1.1 Flugunfallstatistik
- 2.1.2 Aktuelle Flugerfahrung
- 2.1.3 Trainingsbarometer
- 2.1.4 Risikobewertung und -beurteilung
- Zusammenfassung
- Ein Augenzeugenbericht
2.1.1 Flugunfallstatistik
Auswertungen zur Anzahl und zu Ursachen von Flugunfällen
Historisch gesehen sind 20 % aller Unfälle auf technische Fehler und 80 % auf menschliches Versagen zurückzuführen.
Beim menschlichen Versagen spielen folgende Faktoren die Hauptrolle:
- Mangelndes Können (Ausbildung, Training)
- Übertretungen (Nichteinhalten von Vorschriften und Regeln)
- Entscheidungsfehler (falsche oder nicht ausreichende Information, Denk- und Rechenfehler)
- Wahrnehmungsfehler (Sinnestäuschungen)
Spielen gleichzeitig mehrere Faktoren eine Rolle, ist ein Unfallgeschehen nahezu unvermeidbar.
Abb. 2.1.2 Unfallstatistik
2.1.1.1 Verringerung der Anzahl von Flugunfällen
In der westlichen Welt (Europa, Nordamerika und Australien) ereignet sich durchschnittlich ein Flugunfall pro 1,6 Millionen Flüge. In den Ländern, die der EASA (European Aviation Safety Agency) angeschlossen sind, lag diese Wahrscheinlichkeit im Jahr 2005 bei weniger als einem von vier Millionen Flügen. Weltweit ist auch ein deutlicher Rückgang der Flugunfälle zu verzeichnen.
2.1.1.2 Unfälle mit deutschen Segelflugzeugen
Im Gegensatz zur Großluftfahrt (schwerer als 5,7 Tonnen) ist bei Segelflugzeugunfällen kein deutlicher Rückgang der Unfallzahlen zu verzeichnen. Sie gingen zwar von 1998 bis 2018 um ca. 36 % zurück, allerdings wurde im Schnitt der zurückliegenden fünf Jahren wieder ein Zuwachs verzeichnet.
Abb. 2.1.4 Unfälle Segelflug (Quelle BFU)
Unfälle in Zahlen
Etwa einer von 160.000 Segelflügen hat ein tödliches Ende. Im Jahr 2009 wurde das Thema „Human Factors“ für die Segelfluglizenz eingeführt. Das Ziel dieses Themas ist es, das Segelfliegen sicherer zu machen. Dies sollte zu weniger Segelflugunfällen führen.
Abb. 2.1.5 Unfälle in Zahlen (Quelle BFU)
Risikotabelle und Unfallstatistik nach Flugphasen
Abb. 2.1.6 Risikotabelle
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Wie sicher ist Segelfliegen im Vergleich zum Radfahren, Autofahren oder Fliegen in einem Passagierflugzeug? Die Frage über das Todes-risiko bei einem Unfallereignis darf durchaus statistisch beantwortet werden.
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(Quelle: Human Performance & Limitations Aviation Training Systems Nordian H.1 Seiten 1-1).
Eine Untersuchung von 3168 Segelflugunfällen im Zeitraum 1973 - 1985 zeigt folgendes:
Abb. 2.1.7 Unfallstatistik der einzelnen Phasen eines Fluges
Wenn du alle Segelflugunfälle in Deutschland nach Flugphasen anschaust, kommst du zu folgendem Ergebnis:
- die meisten Unfälle (± 70 %) ereignen sich bei der Landung
- fast die Hälfte aller tödlichen Unfälle während der Freiflugphase.
Siehst du genauer hin, stellst du fest, dass die Hälfte der Unfälle auf Kollisionen während des Thermik- oder Kurvenfluges zurückzuführen ist und die andere Hälfte darauf, dass das Flugzeug unkontrollierbar wurde, hauptsächlich durch Überziehen.
Lehren, die du daraus ziehen solltest:
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Kontrollen sind wichtig, nimm dir die Zeit, sie durchzuführen. Führe sie laut und bewusst aus.
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Fliegen oder Fallen! Achte darauf kontinuierlich eine ausreichende Geschwindigkeit einzuhalten.
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Sehen und gesehen werden, das ist es, worum es geht! Ausschau halten ist ein Muss. Flarm reduziert das Risiko einer Kollision. Stelle sicher, dass du eine saubere Haube und eine saubere Brille hast.
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Niemals alles oder nichts! Biete immer mehr als eine Alternative an. Nutze breite Spielräume bei Endanflügen und Landungen.
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Halte die Regeln für das Fliegen in der Thermik ein und verlasse den Aufwindschlauch, wenn andere sich nicht daranhalten. Spreche nach dem Flug mit dem anderen über gefährliches Flugverhalten.
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Übe Ziellandungen bei jedem Flug und gehe nicht über Land, wenn du Ziellandungen mit diesem Flugzeugtyp noch nicht beherrschst.
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Passe die Geschwindigkeit bei der Landung in Verbindung mit möglichen Turbulenzen und starkem Wind bewusst an. Nenne bei den Checks im Gegenanflug: "Seitenwind, zusätzliche Landegeschwindigkeit im Endanflug erforderlich", oder "Keine zusätzliche Landegeschwindigkeit erforderlich".
2.1.2 Aktuelle Flugerfahrung (In Übung Haltung)
Faktoren für ein sicheres Segelfliegen
Statistiken zeigen, dass Segelfliegen nicht ganz ohne Risiko ist. Wie sicher das Segelfliegen ist, hängt zu einem großen Teil vom Segelflieger selbst ab. Wer umsichtig mit dem Segelflugzeug umgeht, gute Luftraumbeobachtung praktiziert, sich an die Regeln hält und innerhalb der vorgegebenen Grenzen bleibt, der geht ein sehr geringes Risiko ein. Die Niederlande sind innerhalb Europas das Land mit einer vergleichsweise geringen Anzahl an Segelflugunfällen. Das Fehlen von Bergen und großes Augenmerk auf sicheres Segelfliegen haben zweifellos dazu beigetragen. Sicheres Segelfliegen liegt weitgehend in deiner eigenen Hand.
Baer Selen (Segelflugweltmeister Standardklasse 1991):
„Ein Spitzenpilot ist ein Segelflieger, der seine herausragenden Fähigkeiten so einsetzt, dass er nie in Situationen gerät, in denen seine Top-Qualitäten nötig werden könnten.“
Sicheres Segelfliegen ist in hohem Maße von der Vereinskultur abhängig. Ein gesunder Verein verschließt nicht die Augen vor gefährlichem Flugverhalten und ein sicherer Verein hält sich an die vereinbarten Sicherheitsregeln.
2.1.3 Das Trainingsbarometer
Wie ist mein aktueller fliegerischer Trainingszustand?
Du kannst das Trainingsbarometer auch online ablesen.
Wenn du die Anzahl der in den letzten 6 Monaten geflogenen Starts und Stunden eingibst, kannst du sehen, wie gut dein aktueller fliegerischer Trainingszustand ist. Du kannst deinen aktuellen fliegerischen Trainingszustand mit diesem Link überprüfen.
2.1.3.1 Unfälle und aktuelle Flugerfahrung
Aktuelle Flugerfahrung erhöht deine Fähigkeit, unter unerwarteten Umständen schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen. Wer wenig fliegt oder lange Zeit nicht geflogen ist, hat einen niedrigen fliegerischen Standard. Wenn du im Frühjahr nach einer langen Winterpause wieder mit dem Fliegen beginnst, wirst du feststellen, dass du dein altes fliegerisches Niveau erst nach ein paar Dutzend Starts wieder erreichst. Mach nach einer fliegerischen Pause von mehr als 90 Tagen einen oder mehrere Kontrollstarts mit Lehrer.
Der Ausbildungssyllabus sieht für Alleinflieger nach einer Reihe von Soloflügen Checkstarts mit einem Fluglehrer vor. Der Fluglehrer prüft, ob du sicher fliegst und macht sich ein Bild davon, wie weit du mit deiner Flugausbildung fortgeschritten bist und trainiert mit dir weitere fliegerische Anforderungen..
Passe dein Fliegen an deinen fliegerischen Trainingszustand an. Wenn du hörst und siehst, dass es bei der Landung aufgrund von starkem Wind und Turbulenzen "böig" ist und du weißt, dass dein Trainingsstandard nicht dem Standard entspricht, mach zuerst einen Check-Start. Gehe nur auf einen Überlandflug/Streckenflug, wenn dein Trainingsbarometer anzeigt, dass deine aktuelle Flugerfahrung gut ist.
Aus dieser deutschen Grafik ist ersichtlich, dass die meisten Unfälle von Piloten mit geringer Flugerfahrung verursacht werden.
2.1.4 Risikobewertung und -beurteilung
Anleitung zur Durchführung einer Risikobeurteilung
Um das Unfallrisiko sehr gering zu halten, musst du mehr Dinge beachten als nur die aktuelle Flugerfahrung und den I'M SAFE-Check (siehe: 2.2.5 Fliegen und Gesundheit). Nimm vor dem Flug eine Risikobeurteilung vor. Fülle diese Liste aus und stelle fest, ob du deinen geplanten Überlandflug sicher beginnen kannst. Vielleicht findest du es sicherer, deine Pläne für einen Überlandflug in einen lokalen Flug oder einen zweisitzigen Flug mit einem Fluglehrer zu ändern.
Addiere deine Gesamtpunktzahl.
Je höher die Gesamtpunktzahl, desto mehr Risiko gehst du ein.
Zusammenfassung
- Halte dich an die I'M SAFE-Checkliste.
- Vergewissere dich, dass du über ausreichend aktuelle Flugpraxis verfügst
Ein Augenzeugenbericht
Der Bericht eines niederländischen Fliegerfreundes, der hier nahezu wörtlich wiedergeben wird, ist sehr beindruckend:
"Es ist der 29. Juli 2002. Unser Verein ist im Sommerlager auf dem Segelflugplatz Lüsse in Deutschland. Fast jeden Tag haben wir schönes Wetter. Am 28. Juli mache ich einen Flug von 450 km und am 30. Juli einen Flug von 400 km. Beide Flüge habe ich teilweise vergessen, aber die Ereignisse am 29. Juli werde ich nie vergessen. Lüsse ist ein großer Flugplatz und wir fliegen dort mit mehreren Vereinen an mehreren Startstellen. An diesem Tag habe ich zwei Dinge gesehen, die ich noch nie zuvor gesehen habe und die ich hoffentlich auch nie wieder sehen werde. Wie immer beobachte ich den Luftraum, um zu sehen, wo unsere Alleinflieger sind. In der Nähe des Flugplatzes kreisen einige unserer Segelflugzeuge in einen Thermikschlauch (Bart) ein. Plötzlich fällt ein deutsches Segelflugzeug während des Kreisens in der Thermik ins unbeabsichtigte Trudeln. Das Flugzeug fällt rotierend mehrere 100 m, das Trudeln hört auf und das Flugzeug wird abgefangen. Gott sei Dank ging nochmal alles gut. Ein paar Minuten später, während des Briefings für den nächsten Flug sehe ich in unserer Nähe die Ablösung einer Thermikblase mit herumwirbelnden Stücken von Gras, Heu und Staub. Ein auf den Kopf gestellter Strudel. Plötzlich ruft einer: "Schau mal...!" Ich sehe auf dem anderen Startplatz ein deutsches Segelflugzeug aus 40 Metern Höhe mit der Nase nach unten stürzen.
Nie wieder werde ich den Aufprall vergessen..., die Stille danach.... Das Segelflugzeug hob viel zu steil ab, vielleicht wurde der Pilot durch die ablösende Thermik irritiert, und hat irgendwie falsch reagiert. Das Flugzeug kippte am Seil, vermutlich durch einen Strömungsabriss ab. Der Pilot war sofort tot. Wir sahen uns fassungslos an."
Wir werden uns immer wieder die Frage stellen müssen:
Was können und müssen wir tun, um solche Unfälle zu verhindern?
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