8.2 Bauarten, Belastung und Beanspruchung
System design, loads and stresses
Wie im Anhang zu diesem Kapitel (Abschnitt 8.9) beschrieben, ist unter „Belastung“ die Wirkung einer aufgebrachten Kraft oder eines Moments zu verstehen. Zu den Auswirkungen gehören (Material-) Beanspruchung, Zug, Druck und Torsion. Dieses Kapitel befasst sich mit der erforderlichen Festigkeit der Konstruktion im Hinblick auf die Fähigkeit, (wechselnde) Kräfte und Momente aufzunehmen.
8.2.1 Systemgestaltung
Festigkeit und spezifische Festigkeit
In der Luft- und Raumfahrt ist es wichtig, dass eine Struktur eine möglichst hohe Festigkeit bei möglichst geringem Gewicht aufweist. Je geringer das Gewicht ist, desto weniger Auftrieb ist erforderlich, um dieses Gewicht zu tragen. Je weniger Auftrieb, desto geringer der Widerstand. Dies wird in der spezifischen Festigkeit ausgedrückt, wobei es sich um das Verhältnis von Bruchfestigkeit zum spezifischen Gewicht handelt. Die Zug- und Druckfestigkeit ist die mechanische Spannung (Kraft pro Querschnittsfläche), bei deren Überschreitung ein Material zerstört wird. Im Allgemeinen ist die Zugfestigkeit eines Materials höher als die Druckfestigkeit.
Elastizität und Steifigkeit
Die Konstruktion eines Flugzeugs muss ausreichend formstabil (steif) und zugleich auch ausreichend elastisch (biegsam) sein, um die wechselnden Belastungen (z.B. bei Turbulenzen) besser aufnehmen zu können. Die Struktur darf auch nicht zu elastisch sein, da sonst die Gefahr des Flatterns steigt. Siehe Abschnitt Flattern.
Flattern
Flattern ist eine (instabile) Schwingung eines oder mehrerer Bestandteile des Flugzeugs, die sich selbst verstärkt, bis das Bauteil oder die tragende Konstruktion zerstört wird. Flattern tritt unter anderem auf, wenn sich die elastische Konstruktion so verformt, dass die Luftkräfte die Schwingungsamplitude (Verformung) verstärken und die Kräfte kontinuierlich ansteigen. Ein weiterer Grund kann ein zu großes Spiel in Lagern (bei beweglichen Bauteilen wie Höhen-, Seiten oder Querruder) sein. So ist eine der Konstruktionsanforderungen, dass bei Geschwindigkeiten bis einschließlich der maximalen Fluggeschwindigkeit innerhalb der zulässigen Lastgrenzen und Geschwindigkeiten kein Flattern auftreten darf. Konstrukteure entwickeln die Baugruppen so, dass sie ausreichend steif sind. So achten sie bei Tragflächen und Rudern auf eine korrekte Gewichtsverteilung. Ziel ist, dass der Schwerpunkt sämtlicher beweglicher Massen möglichst in Ruhe verharrt. Die Abbildung 8.2.1 zeigt ein Beispiel für den Massenausgleich in einem Ruder. Indem der Schwerpunkt des Ruders vor den Drehpunkt gelegt wird, bewirkt ein Ausschlag des Seitenruders nach links eine Gegenbewegung der Leitwerksflosse nach rechts, wodurch der Wirkung des Ausschlags nach links entgegengewirkt wird. Der Massenausgleich kann durch externe oder interne Gewichte erfolgen.
Abb. 8.2.1 Massenausgleich gegen Flattern
Hinweis:
Mit zunehmender Höhe muss das Flugzeug aufgrund der abnehmenden Luftdichte schneller geflogen werden, um eine konstante angezeigte Fluggeschwindigkeit zu halten. Gleichzeitig nimmt die dämpfende Eigenschaft der Luftmasse ab. (siehe auch Kapitel 8.6 Instrumente). Daher ist im Flug- und Betriebshandbuch die Angaben zu Fahrtmesserfehlern zu beachten. Faustregel ist, dass pro 1000 Meter Höhe der Fahrtmesser eine um 7% zu geringe Geschwindigkeit anzeigt. Daher kann vor Erreichen der angezeigten Höchstgeschwindigkeit in größeren Höhen Flattern auftreten. Im Flug- und Betriebshandbuch wird meist darauf hingewiesen, dass die maximale Manövergeschwindigkeit (Beginn des gelben Bereichs) und die Höchstgeschwindigkeit (roter Strich) in großen Flughöhen geringer sind. Das ist am Fahrtmesser aber nicht erkennbar!
Elastizität und Plastizität
Flugzeugstrukturen benötigen eine gewisse Elastizität. Elastisches Material kann sich unter Last verformen, bleibt aber nach Wegnahme der Last nicht dauerhaft verformt. Geschieht dies doch, wurde die Elastizitätsgrenze überschritten und das Material ist plastisch (bleibend) verformt. Die maximale Auslegungslast ist dann überschritten und das Flugzeug ist nicht mehr lufttüchtig oder schwer beschädigt. Das Flugzeug ist jedoch noch nicht zusammengebrochen. Der Konstrukteur muss einen Sicherheitsfaktor (j) von mindestens dem 1,5-fachen der maximalen Auslegungslast anwenden, bevor eine Struktur versagen darf (bei älteren Baumustern - z.B. BVS - ist es der zweifache Faktor) . Dies ist die Bruchlast (BL). In der Formel ist dies BL = 1,j. Im Internet findest Du Videos, in denen die Tragflächen von Segelflugzeugen auf ihre Bruchfestigkeit getestet werden. Weitere Informationen zu Traglasten findest Du später in diesem Kapitel.
Korrosion
Korrosion ist ein chemischer Angriff auf einen Werkstoff. Korrosion kann in Metall, Holz und Kunststoff auftreten. Es gibt viele Formen von chemischen Angriffen. Die bekannteste ist die Korrosion durch Sauerstoff, auch Oxidationskorrosion genannt. In Eisen und Stahl bildet sich Rost und schwächt das Material. Korrosion in Hölzern wird meist durch Flammschutzmittel verursacht, bei Kunststoffen durch sauerstoff- oder alkoholhaltige Lösungsmittel. Nicht jede Form von Oxidationskorrosion ist schlecht; bei Aluminium und Magnesium wird manchmal eine schützende Oxidschicht aufgebracht, um eine weitere Zerstörung zu verhindern (das heißt eloxieren). Wenn sich die Schutzschicht nicht von selbst bildet, dann sollte sie aufgetragen werden. Der häufigste Schutz ist der mit Lack (Farbe).
Zusätzliche Informationen zur Korrosion:
Andere Formen der Korrosion von Metallen sind Spannungskorrosion und elektrochemische Korrosion. Spannungskorrosion entsteht, wenn die Spannungen im Material so hoch sind, dass sich kleine Haarrisse bilden, zwischen denen sich Feuchtigkeit und Schmutz ansammeln und das Material schwächen können. Elektrochemische Korrosion entsteht durch Elektrolyse, wenn zwei unterschiedliche Metalle entweder direkt oder über ein Zwischenmaterial in Kontakt kommen und wenn Feuchtigkeit den Ladungstransport ermöglicht – wie bei einer Batterie.
8.2.2 Spannungen
Ein Bauteil wird durch darauf einwirkende Kräfte belastet. Die Kräfte wirken auf eine Fläche und verursachen mechanische Spannungen. Es gibt verschiedene Arten von mechanischen Spannungen, die im Folgenden erläutert werden. Zur Übersichtlichkeit werden diese Spannungen für einen Rundstab beschrieben, der an einem Ende eingespannt ist und dessen Länge größer als sein Durchmesser ist, siehe Bild 8.2.2. Eine Kraft in Längsrichtung führt zu Zug- und Druckspannungen. Eine Kraft in Querrichtung oder eine Drehung führt zu Biege-, Scher- und Torsionsspannungen. Die endgültige Auswirkung dieser mechanischen Spannungen hängt auch von der Elastizität und dem Material ab, aus dem der Stab besteht.
Spannungen in Längskräften
Zugspannung
Wenn der Stab in Längsrichtung gezogen wird, so verlängert er sich und wird leicht schmaler. Bleibt die Kraft unterhalb der zulässigen Festigkeit, kehrt er nach Wegfall der Kraft wieder in die alte Form zurück. Man spricht dann von elastischer Verformung. Das maximale Verhältnis aus Kraft und Längsdehnung ist die Streckgrenze. Wird die Zugkraft stattdessen weiter erhöht, so beginnt sich das Material plastisch zu verformen, - es fließt. Ab diesem Punkt ist die Materialstruktur beschädigt. Die größtmögliche Spannung, die ein Werkstoff aufbauen kann, wird als Zugfestigkeit bezeichnet.
Wird die Zugkraft weiter erhöht, entsteht eine Einschnürung des Materials. Wirkt die gleiche Kraft weiterhin auf das eingeschnürte Material, so steigt die Spannung aufgrund der verringerten Oberfläche dennoch an. Trotz gleicher Kraft, aber aufgrund der erhöhten Spannung kann das Material schließlich versagen. Ein gutes Beispiel ist der bekannte Seilriss-Bruch. Wenn die maximal zulässige Seilkraft überschritten wird, bricht das Material dort, wo die Spannung am höchsten ist, d. h. im Bereich der Einschnürung.
Druckspannung
Wenn ein Stab aus nicht zu sprödem Material in Längsrichtung zusammengedrückt wird, verkürzt er sich und wölbt sich, d. h. er wird dicker. Über die Elastizitätsgrenze hinaus kann dies (z.B. bei einem Rohr) zu einem Einknicken führen, wie es bei der harten Landung eines Segelflugzeugs mit Fachwerkrumpf (der "Banane") beschrieben wird. Druckkräfte in Längsrichtung auf einen Stab können ebenfalls zum Knicken führen. Besonders wenn das betreffende Teil viel länger als dick ist, wird sich das Material eher wölben als ausbeulen. Plattenmaterial (lang und dünn) ist stark, knickt aber unter Druck (falls es senkrecht steht) leicht ein. Der Knickwiderstand kann durch das Anbringen von Längsversteifungen in Richtung der Druckkräfte verbessert werden.
Spannungen bei Kräften in Querrichtung
Biegespannung
Wenn eine Kraft senkrecht zum Ende der Stange aufgebracht wird, biegt sich die Stange. Die Biegung verursacht Zug- und Druckkräfte in Längsrichtung. Die Zugkräfte können dazu führen, dass das Material reißt, während die Druckkräfte dazu führen können, dass das Material knickt oder sich verbiegt. Die Biegung ist beim Windenstart eines Segelflugzeugs leicht zu erkennen. Das Gewicht des Flugzeugs plus der Zug des Windenseils muss durch die Auftriebskraft der Tragflächen kompensiert werden. Der obere Teil der Flügel wird dann auf Druck und der untere Teil auf Zug belastet. Der elastische Flügel wird sich zur Spitze hin am stärksten durchbiegen (das Biegemoment nimmt zur Spitze hin durch den längeren Arm zu). Bei einer (harten) Landung passiert das Gegenteil: die Spitzen wollen zuerst nach unten.
Scherspannung
Wird eine Kraft senkrecht auf das Ende des Stabes ausgeübt, wird dieser nicht nur durchgebogen, sondern auch abgeschert. Die Scherung bewirkt Zug- und Druckkräfte in Querrichtung. Das Schneiden eines Windenseils ist ein gutes Beispiel für das Scheren. Die Schneidmesser werden mit Kraft senkrecht zum Kabel gedrückt. Die scharfen Klingen haben eine kleine Oberfläche, wodurch die Scherspannung sehr hoch ist und das Seil durchtrennen kann. Scharnierpunkte sind ebenfalls einer Scherbelastung ausgesetzt.
Torsionsspannung
Wird eine Kraft senkrecht zum Ende der Stange in einem Abstand (also tangential) von der Mittellinie aufgebracht, entsteht ein (Torsions-)Moment (Mt = F x r, also Kraft mal Radius). Dieses Drehmoment erzeugt eine Torsions- oder Verdrehspannung. Eine Flügelnase wird sich z.B. nach oben verdrehen wollen, wenn die Auftriebskraft auf den Flügel vor dem Holm wirkt; die gleiche Flügelnase wird sich nach unten verdrehen wollen, wenn die Auftriebskraft hinter dem Holm wirkt.
Abb. 8.2.2.1 Längs- und Querlasten
8.2.3 Belastungen an einem Segelflugzeug
Aus dem Fach 'Grundlagen des Fliegens' ist bekannt, dass bei einem stationären Geradeausflug alle Kräfte und Momente im Gleichgewicht sein müssen. In Abbildung 8.2.3.1 liegt der Angriffspunkt der Auftriebskraft des Flügels (FA) hinter dem Schwerpunkt, wodurch ein Nickmoment entsteht. Dies wird durch eine nach unten gerichtete Leitwerkskraft (FS) kompensiert. Beide Kräfte werden schließlich zur Auftriebskraft FL (Luftkraft) zusammengefasst, die in Abbildung 8.2.3.2 am Schwerpunkt ansetzt. Die Luftkraft steht immer senkrecht zur Flugbahn – egal, wie die Rumpf-Längsachse gerade geneigt ist.
Abb. 8.2.3.1 Momentausgleich um die Querachse
Abb. 8.2.3.2 Gleichgewicht der Kräfte in der Längsebene
Gleitzahl und Anstellwinkel
Ein Segelflugzeug mit einer Gleitzahl von 40 fliegt vierzig Mal so weit, wie es an Höhe verliert. Das Verhältnis zwischen Strecke und Höhenverlust beträgt also 40:1. Der Widerstand ist also 1/40 des Auftriebs. Ein Segelflugzeug mit einer Masse von 400 kg hat ein Gewicht von rd. 4000 Newton und hat in diesem Fall einen Luftwiderstand von nur 100 N. Oder anders: Um mit der Geschwindigkeit des besten Gleitens fliegen zu können, benötigt dieses Segelflugzeug nur einen Schub von 100 N (oder 10 alten Kilopond). Zur besseren Vorstellung: Im horizontalen Flugzeugschlepp hat das Schleppseil nur eine Spannung von 100 N. Der entsprechende Gleitwinkel kann mit 1,4 Grad berechnet werden. Dies ist sehr wenig. Zum Vergleich: Motorflugzeuge haben eine Gleitzahl von 7 bis 12.
Zur Verdeutlichung ist der Gleitwinkel in Abbildung 8.2.3.2 übertrieben dargestellt. Im Gleitflug sind FW und FV gegensätzlich und werden in der Größe gleichgesetzt.
Im eben skizzierten geradlinigen Flug mit konstanter Geschwindigkeit halten sich die Luftkräfte mit der Schwerkraft am Flugzeug fast die Waage. Tatsächlich verliert das Segelflugzeug etwas an Höhe (siehe Gleitzahl). Dies wird als 1-g-Zustand bezeichnet, oder der Lastfaktor 'n' ist eins (n=1). Der Lastfaktor ist der Auftrieb (FA) geteilt durch das Flugzeuggewicht (FG). In der Formel: n = FA/FG.
Der Lastfaktor erhöht sich, wenn der Auftrieb das Gewicht übersteigt oder auf einer Kreisbahn zusätzliche Trägheitskräfte überwunden werden müssen. Hier muss der Auftrieb steigen, weil auch das (scheinbare) Gewicht des Flugzeugs steigt. Aus der Auftriebsformel geht hervor, dass der Auftrieb vom Auftriebsbeiwert (ca), der Luftdichte, der Geschwindigkeit und der Flügelfläche abhängt (FA = ca ρ/2v2S). Praktisch gesehen kann bei einem Segelflugzeug der Auftrieb durch Erhöhung des Auftriebsbeiwertes und/oder der Geschwindigkeit erhöht werden. Der Auftriebsbeiwert und damit der Auftrieb steigt mit dem Anstellwinkel (und mit einem positiven Ausschlag der Wölb-Klappen): das Flugzeug beginnt zu steigen.
Wenn man bei einer bestimmten Geschwindigkeit plötzlich am Knüppel zieht, wird der Anstellwinkel vergrößert und der Lastfaktor steigt über n=1. Mit anderen Worten: Das scheinbare Gewicht des Flugzeugs und seiner Insassen nimmt zu, weil die träge Masse den ursprünglichen Zustand beibehalten möchte.
Auch beim Einfliegen in starke Thermik z.B. wird der Lastfaktor erhöht. Auch jetzt wird der Anstellwinkel plötzlich erhöht, wodurch der Auftrieb deutlich zunimmt.
Beim Fliegen einer Kurve reduziert sich der Auftrieb mit der Querneigung. Um das Gewicht weiterhin zu kompensieren, muss der Auftrieb durch Vergrößerung des Anstellwinkels erhöht werden. Auch in diesem Fall erhöht sich der Lastfaktor. Der Lastfaktor erhöht sich um 1/cos (β) (Querneigung).
Der vorangegangene Text zeigt, dass eine Vergrößerung des Anstellwinkels bei konstanter Geschwindigkeit eine Erhöhung des Lastfaktors bewirkt. Pro Kategorie (Utility oder Aerobatic) gilt ein maximaler positiver und negativer Wert des Lastfaktors, siehe untenstehende Tabelle. Wenn dieser Wert überschritten wird, wird die maximale Auslegungslast des Flugzeugs überschritten und es besteht die Gefahr von Strukturschäden. Die Lastgrenzen sind in den Bauvorschriften für Segelflugzeuge (CS-22) festgelegt.
Abb. 8.2.3.3 Kategorien
Eine Erhöhung des Lastvielfachen kann nicht nur zu Schäden, sondern auch zu einer höheren Überziehgeschwindigkeit (VS) führen. Je höher der Lastfaktor, desto mehr Auftrieb muss erzeugt werden (n = FA/FG => FA = n FG). Unter der Annahme eines maximalen Anstellwinkels (cαMAX) kann nur dann ausreichend Auftrieb erzeugt werden, wenn die Geschwindigkeit hoch genug ist. Die neue Überziehgeschwindigkeit ist eine Funktion der Quadratwurzel des Lastfaktors mal der Überziehgeschwindigkeit bei einer 1-g-Last. In Formelform: Vs = Vs1g √n.
Aus dem gleichen Grund erhöht sich die Überziehgeschwindigkeit beim Kurvenflug. Der Lastfaktor in einer Kurve ist eine Funktion der Querneigung j und kann mit n = 1/cosφ berechnet werden.
Hinweis: Das Vs1g wird mit einem maximal beladenen Flugzeug ohne Wasserballast berechnet! Die Überziehgeschwindigkeit ist bei einem weniger schwer beladenen Flugzeug geringer.
Bemerkung: Der maximale Anstellwinkel wird auch als kritischer Anstellwinkel bezeichnet. Bei Überschreiten des maximalen oder kritischen Anstellwinkels wird der Flügel überzogen: Der Auftrieb nimmt stark ab und der Widerstand nimmt zu.
Die folgende Tabelle zeigt den Zusammenhang zwischen Querneigung, Lastfaktor und Überziehgeschwindigkeit für ein Flugzeug mit einer vS1g von 68km/h.
Abb. 8.2.3.4 Querneigung, Lastfaktor und Überziehgeschwindigkeit
Zusätzliche Informationen:
Die Überziehgeschwindigkeit bei gegebener Last und Gewicht wird durch Kombination der Lastfaktorformel (n = FA/FG) mit der Auftriebsformel (ca. ρ/2 v2 S) berechnet. FA=n FG
⇒ caρ/2v2 S = n FG
⇒ v =√(2nFG / ca ρ S)
⇒ VS =√(2nFG/caMAX ρS).
Aus der obigen Tabelle wird deutlich, dass bei Geschwindigkeiten bis zur Überziehgeschwindigkeit, die mit dem maximalen positiven Lastfaktor (+5,3) verbunden ist, das Flugzeug niemals überlastet werden kann, da es bereits überzogen ist. Diese Geschwindigkeit ist die Manövriergeschwindigkeit VA. Im obigen Beispiel sind dies 157 km/h. Bis zur Manövriergeschwindigkeit können volle Ruderausschläge gemacht werden, ohne dass die Gefahr einer Überlastung besteht. Oberhalb der Manövergeschwindigkeit kann das Flugzeug bei bestimmten Manövern wie plötzlichen Ruderausschlägen oder beim Fliegen in turbulenter Luft überlastet werden. In diesem Geschwindigkeitsbereich sollte daher nur in ruhiger Luft und mit Vorsicht (maximal 1/3 der Ruderausschläge) geflogen werden. Die endgültige maximale Fluggeschwindigkeit wird auf der Grundlage von Festigkeits- und Flatterbetrachtungen ermittelt. Diese Geschwindigkeit darf nie überschritten werden und wird deshalb als „Nie zu überschreitende Geschwindigkeit“ oder VNE (VNever Exceed) bezeichnet.
Die oben genannten Daten werden im Last- oder Manövrierdiagramm kombiniert, welches die Belastungsmöglichkeiten bei der jeweiligen Fluggeschwindigkeit zeigt. Eine andere Bezeichnung für dieses Diagramm ist das V-n-Diagramm. Siehe Abbildung 8.2.3.5.
Abb. 8.2.3.5 Beladungs-, Manövrier- oder v-n-Diagramm für ein Luftfahrzeug der Kategorie U (Utility)
Auf der horizontalen Achse steht die angezeigte Fluggeschwindigkeit, auf der vertikalen Achse der Lastfaktor n. Die beiden gebogenen Linien zeigen die Überziehgeschwindigkeit beim jeweiligen Lastfaktor. Man sieht hier, dass die Strömung schon vor dem Erreichen des maximalen Lastfaktors abreißt, weil der maximale (oder kritische) Anstellwinkel αMAX erreicht wird. Die maximal zulässigen positiven und negativen Lastfaktoren sind in den beiden schrägen Geraden dargestellt. Man sieht, dass der maximal erlaubte positive und negative Lastfaktor mit zunehmender Geschwindigkeit abnimmt. Damit sollen die Auswirkungen vertikaler Windböen aufgrund von Turbulenzen berücksichtigt werden, die bei höheren Geschwindigkeiten zu einer Überlastung führen können. Die rote vertikale Linie schließlich zeigt den VNE.
Hinweis: Das Belastungsdiagramm und die Manövriergeschwindigkeit VA werden gemäß den Zulassungsanforderungen mit einem maximal beladenen Flugzeug ohne Wasser und ohne Klappen ermittelt. Ein geringeres Gewicht führt dann theoretisch zu einer geringeren Manövriergeschwindigkeit VA. Das Flugzeug könnte dann bereits bei Geschwindigkeiten unter VA überlastet sein. Der Segelflugzeughersteller muss jedoch nachweisen, dass dies nicht möglich ist. Wasser in den Flügeln erhöht tatsächlich die Tragfähigkeit. Dies liegt vor allem daran, dass Wasser die Durchbiegung des Flügels nach oben reduziert. Die Nutzung von Wölbklappen nach unten (positiv) bewirkt eine stärkere Flügelwölbung, wodurch die Belastbarkeit sinkt. Diese wird als maximale ausgefahrene Klappengeschwindigkeit oder kurz VFE angegeben.
Um es zusammenzufassen:
- VS1g ist die Überziehgeschwindigkeit bei einer Last von 1 g
- Vs ist die Überziehgeschwindigkeit
- VFE ist die maximale Geschwindigkeit mit ausgefahrenen Wölbklappen (nicht neutral oder negativ)
- VA ist die Manövriergeschwindigkeit
- VNE ist die maximal zulässige Geschwindigkeit mit Wölbklappen neutral oder negativ
- Eine obere Geschwindigkeitsgrenze für die Bremsklappen gibt es nicht. Sie heißen ja auch Sturzflugbremsen! Aber: Sind sie ausgefahren, hast du praktisch einen kleineren Flügel, der das gleiche Flugzeug tragen muss. Dazu brauchst du einen größeren Anstellwinkel, damit bist du näher am kritischen Anstellwinkel.
Zusätzlich zu den Geschwindigkeitsbegrenzungen aus dem Belastungsdiagramm gibt es noch folgende Geschwindigkeitsbegrenzungen
- VRA ist die ungefähre Fluggeschwindigkeit, bei der die Struktur in der Lage sein muss, wiederkehrende Belastungen zu verkraften. In der Zivilluftfahrt ist VRA in der Regel VA.
- VW ist die maximale Geschwindigkeit an der Winde
- VT ist die maximale Schleppgeschwindigkeit
- VLO ist die maximale Geschwindigkeit, mit der das Fahrwerk ausgefahren werden darf
8.2.4 Kräfte von Start bis Landung
F-Schleppstart
Beim Flugzeug-Schleppstart unterscheidet sich die Belastung des Segelflugzeugs nicht wesentlich von der im freien Flug. Fluggeschwindigkeit und Anstellwinkel sind nicht hoch und die einzige zusätzliche Kraft ist die des Schleppseils am Haken (siehe Abbildung 8.2.4.3). Diese Schleppkraft beträgt bei ruhigem Schlepp 1/40 des Flugzeuggewichts für ein Flugzeug mit einer Gleitzahl von 40. Bei einem Gewicht von 4000 N (400 kg) sind das 100 N (10 kg), die maximal bis zur Bruchlast der Sollbruchstelle (3000-5000 N) ansteigen können.
Der Schleppstart findet an der Bugkupplung statt. Dies ist der Starthaken, der sich in der Nase des Flugzeugs befindet oder knapp darunter. Die Wirklinie der Seilkraft verläuft fast durch den Schwerpunkt. Wenn die Flugzeugnase aus der Schlepprichtung gerät, (links, rechts, oben, unten) tritt ein rückstellendes Moment auf, was das Flugverhalten stabilisiert.
Abb. 8.2.4.1 Kräfte im F-Schlepp
Windenstart
Die Belastungen beim Windenstart sind wesentlich höher als beim Flugzeugschlepp. Dies ist auf die erhöhte Flächenbelastung zurückzuführen. Die immer nach unten gerichtete Gewichtskraft kann dem immer senkrecht zur Flugbahn stehenden Auftrieb nicht ausreichend entgegenwirken, wodurch sich der Flügel sehr stark durchbiegt (Abbildung 8.2.4.2). Daher ist die maximale Windengeschwindigkeit Vw niedriger als die Manövriergeschwindigkeit Va. Gleichzeitig ist die Überziehgeschwindigkeit Vs höher als Vs1g.
Der Windenstart beginnt mit dem Einhängen eines Seils in die Schwerpunktkupplung. Dies ist die Kupplung, die sich an der Unterseite des Rumpfes in der Nähe des Schwerpunktes befindet. Die Platzierung ist so gewählt, dass bei normalen Steigwinkeln die Wirkungsrichtung der Seilkraft praktisch durch den Schwerpunkt verläuft. Dadurch wird ein eventuelles Bug- oder Hecklastigkeitsmoment um die Querachse während eines Großteils des Windenstarts kontrollierbar.
Zu Beginn des Windenstarts, wenn das Flugzeug noch keinen Steigwinkel hat, wird durch die hohe Seilkraft ein Heckmoment erzeugt, das die Nase leicht "hochgehen" lassen will. Wenn nicht rechtzeitig mit dem Höhenruder gegengesteuert wird, kann ein Strömungsabriss in geringer Höhe die Folge sein. Ein weiteres Risiko ist ein Seilriss in geringer Höhe, der nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend korrigiert wird.
Auf halber Strecke des Windenstarts bei normalen Steigwinkeln sind die Steuerkräfte am Höhenruder nicht hoch. Der Seilzug beginnt sich zu verringern, ist aber immer noch hoch. Und damit ist auch die Belastung des Flugzeugs recht hoch, bis zu 2 g – aber der Pilot spürt es nicht.
Am Ende des Windenstarts nimmt der Steigwinkel des Flugzeugs wieder ab und die Seilkraft erzeugt ein zunehmendes Nickmoment, dem das Höhenruder immer stärker entgegenwirken muss.
Beim Überfliegen der Winde bzw. aufgrund des Seildurchhangs bereits früher, fällt das Schleppseil automatisch aus den Haken. Falls das nicht geschieht oder wenn der Pilot fühlt, dass das Flugzeug bereits wieder nach unten gezogen wird, muss er das Seil manuell ausklinken (gelber Knopf).
Abb. 8.2.4.2 Kräfte während des Windenstarts
Kräfte während des Fluges
Wie oben erläutert, wirken während des Fluges folgende Kräfte auf das Segelflugzeug: der Auftrieb (FA), das Gewicht (FG) und der Luftwiderstand (FW). Die Wirkung der Leitwerkskraft (FS) ist hier im Auftrieb enthalten. In diesem Abschnitt werden die daraus resultierenden Belastungen auf ein Segelflugzeug näher erläutert.
Flügel
Während des Fluges erzeugen die Tragflächen Auftrieb, um ihr Eigengewicht plus das des Rumpfes zu tragen. Das Gewicht des Rumpfes ist etwa gleichgroß wie das der Tragflächen.Gilt nicht mit Pilot! Die Konstruktion der Flügel verhindert, dass sie sich im Flug zu stark durchbiegen.
Die Luftkräfte auf die Außenhaut werden über die tragende Flügelschale oder die Rippen zum Holm umgeleitet, der ideal geeignet ist, die Biegebelastung aufzunehmen. Auch hier ist zu beachten, dass die Oberseite des Flügels (und des Holms) auf Druck und die Unterseite auf Zug belastet wird. Auf dem Boden ist dies natürlich genau umgekehrt.
Neben den o.g. Biegekräften ist der Flügel im Flug auch einer Torsion ausgesetzt. Wirkt die Auftriebskraft z.B. vor dem Holm, entsteht ein Moment, das die Flügelnase nach oben verdrehen will. Der Flügel ist durch eine sehr steife Flügelnase, auch Torsionsnase genannt, strukturell dagegen geschützt. Dies ist der D-förmige Teil vor dem Holm.
Die vertikalen Rumpfkräfte werden über Steckbolzen in Form von Bolzen-Loch-Verbindungen auf den Flügel übertragen. Dies sind Scherkräfte. Die gleichen Steckverbindungen können auch durch Druck belastet werden. Dies ist z. B. bei Kräften in Flugrichtung der Fall. Flügelwiderstand (FW) und Beschleunigungen (z.B. Windenstart) verursachen Druckkräfte an den hinteren Steckverbindungen. Verzögerungsvorgänge (z. B. bei der Landung) verursachen Druckkräfte an den vorderen Steckverbindungen. Steckverbindungen sind nicht zur Aufnahme von Zugkräften geeignet. Diese werden vom Holm und den Hauptbolzen aufgenommen. Siehe Abbildung 8.2.4.3 .
Hinweis: An der Flügelhinterkante einiger Segelflugzeuge (ASK-21) befindet sich eine Steckverbindung, die mit einem herausnehmbaren Bolzen fixiert ist, um ein Vorschlagen des Flügels beim harten Abbremsen in der Landung zu verhindern. Die Holmstümpfe befinden sich zwischen den oben erwähnten Stiftlochverbindungen. Der oder die zwei Hauptbolzen, der die Holmstümpfe zusammenhält, werden in den oben genannten Situationen auf Scherung belastet.
Abb. 8.2.4.3 Horizontale Belastungen des Flügels (D=Druckkraft)
Höhenleitwerk und Seitenruder
Die Kräfte im Leitwerk und den Rudern sind denen im Flügel sehr ähnlich und werden daher nicht weiter erwähnt. In einem früheren Abschnitt dieses Kapitels wurde bereits das Konzept des Massenausgleichs von Rudern zur Vermeidung von Flattern besprochen.
Rumpf
Die Rumpfkräfte werden über die Spannstifte mir passt der Begriff nicht. Ich kenne nur „Querkraftbolzen“ oder früher „Tangentialbolzen“. in den Flügel übertragen. Diese Kräfte werden hauptsächlich durch das Gewicht des Rumpfes, aber auch durch die Leitwerkskraft FH verursacht. Insbesondere das Gewicht des Rumpfhinterteils und des angebauten Leitwerks sorgen aufgrund ihres Abstands zum Flügel (Hebelarm) für ein relativ großes Moment. Auch der Leitwerksträger (Hinterrumpf)selbst ist aufgrund seines geringen Durchmessers stark belastet. In kurzen Abständen zueinander treten große Zug- und Druckspannungen auf. Die Belastung im Leitwerksträgererhöht sich noch weiter, wenn eine Verdrehung durch einen Seitenruderausschlag auftritt. Siehe Abbildung 8.2.4.4 .
Abb. 8.2.4.4: Belastungen des Rumpfes
Belastungen bei der Landung
Bei einer idealen Landung berührt das Flugzeug den Boden in dem Moment, in dem die Sinkgeschwindigkeit Null ist. In diesem Moment wird die Auftriebskraft des Flügels allmählich von der Stützkraft des Bodens übernommen. Gleichzeitig wird die Geschwindigkeit durch Reibung mit dem Boden allmählich auf Null reduziert.
Bei einer nicht idealen Landung hat das Flugzeug immer noch eine Sinkgeschwindigkeit, so dass die Reaktion des Bodens heftiger ist. Dies kann passieren, wenn der Auftrieb des Flügels verloren geht, während das Flugzeug noch in der Luft ist, oder wenn das Flugzeug nicht rechtzeitig ausrundet oder nicht ausreichend abgefangen wird. Je nach Gewicht und Sinkgeschwindigkeit treten große Kräfte am Rumpf auf, die vom Fahrwerk nicht immer ausreichend aufgefangen werden können. Dadurch können nicht nur Schäden am Fahrwerk selbst, sondern auch am Rumpf und an den Tragflächen entstehen.
Video: Glider crash land - YouTube
Wenn zu viel Reibung mit dem (weichen) Boden und eventuell der Einsatz der Radbremse eine zu schnelle Verzögerung verursacht, können die Vorwärtskräfte so groß werden, dass das Flugzeug zum Kippen nach vorne neigt. Außerdem wird bei zu starker Abbremsung die Flügel-Rumpf-Verbindung stark belastet.
Abschließend wird auf die Folgen von Schiebelandungen eingegangen. Das sind Landungen, bei denen die Bewegungsrichtung des Flugzeugs nicht mit der Richtung übereinstimmt, in die die Nase zeigt. Dies kann passieren, wenn die Nase nicht ausreichend in die Bewegungsrichtung des Flugzeugs gestellt wird, nachdem das Flugzeug in einen Seitenwind gedreht hat. Das Hauptrad und der Sporn werden dann seitlich belastet und es besteht die Gefahr von Rad- und Aufhängungsschäden.
Bei Flugzeugen, deren Schwerpunkt hinter dem Hauptrad liegt (Abb. 8.2.4.5b), entsteht ein Giermoment um die Hochachse, das die Situation schnell verschlimmern kann. Wenn das Flugzeug beginnt, sich um seine Hochachse zu drehen, entsteht eine Querneigung, wobei eine Spitze bald den Boden berührt und ein Ringelpiez folgt. Das Flugzeug dreht sich nun um die am Boden liegende Spitze und erleidet dadurch weitere Schäden.
Bei Flugzeugen mit dem Schwerpunkt vor dem Hauptrad (Abb. 8.2.4.5a) ist die Situation bei einer Querlandung wesentlich günstiger. Durch die Lage des Schwerpunkts entsteht ein Rückstellmoment, das die Nase des Flugzeugs mit seiner Bewegungsrichtung ausrichtet. Die Belastung für das Hauptrad, den Sporn und den Leitwerksträger ist dennoch sehr hoch.
Abb. 8.2.4.5 schiebendes Aufsetzen
Anker: Belastungen = Belast1