5.1.2 Zweidimensionale Strömung um ein Profil
Zweidimensionale Strömungen treten in der Natur eher nicht auf. Anders im Windkanal. Die seitlichen Begrenzungswände sorgen dafür, dass die Stromlinien in ihrer Ebene bleiben.
Trotzdem lassen sich Windkanalmessungen ganz gut auf ein reales Segelflugzeug übertragen, wenn bestimmte Randbedingungen eingehalten werden. Die beiden wichtigsten:
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Die Re-Zahl (siehe unter Abschnitt 5.0.5 nach!) sollte übereinstimmen.
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Der Turbulenzgrad sollte dem der freien Atmosphäre entsprechen, insbesondere wenn der Widerstand gemessen werden soll.
Folgende Abschnitte erwarten dich:
- 5.1.2.1 Strömungsfeld
- 5.1.2.2 Druckverteilung
- 5.1.2.3 Druckpunkt
- 5.1.2.4 Aerodynamische Beiwerte
- 5.1.2.5 Bedeutung des Anstellwinkels
- 5.1.2.6 Strömungsablösung bei großen Anstellwinkeln
- 5.1.2.7 Die Wirkung von Rudern und Klappen
5.1.2.1 Strömungsfeld
In Abb. 5.1.2.1.1 (Strömungsfeld) ist die dir bereits bekannte Umströmung eines Profils zu einem bestimmten Zeitpunkt dargestellt. Eingezeichnet sind ein paar Stromlinien und einige wenige von unendlich vielen, unendlich kleinen Volumenelementen. Jedes Volumenelement bewegt sich entsprechend seines Geschwindigkeitsvektors, der tangential zur jeweiligen Stromlinie ausgerichtet ist. Die Gesamtheit aller Geschwindigkeitsvektoren beschreibt das Strömungsfeld.
Eine der Stromlinien trifft im Nasenbereich des Profils senkrecht auf seine Oberfläche. An dieser Stelle teilt sich die Strömung in zwei voneinander unabhängige Teilströmungen: eine auf der Oberseite und eine auf der Unterseite. Die Stelle, wo es zur Teilung zwischen Ober- und Unterseite kommt, ist der Staupunkt. An der Hinterkante des Profils vereinigen sich die beiden Teilströme wieder.
5.1.2.2 Druckverteilung
Weißt du noch, wie es sich auswirkt, wenn ein stromlinienförmiger Körper in eine freie Strömung gebracht wird? Da in einiger Entfernung vom Körper die Stromlinien ungestört verlaufen, wirkt er wie eine Querschnittsverengung. Entsprechend dem Kontinuitätsgesetz muss die Strömungsgeschwindigkeit in der Umgebung des Körpers steigen. Sehen wir uns einmal am Profil der ASK 21 an, wie das zum Ausdruck kommt.
Du hast noch den Satz von Bernoulli im Kopf? Wenn die Geschwindigkeit steigt, nimmt der Staudruck zu, und der statische Druck ab.
Aus der Geschwindigkeitsverteilung in Abb. 5.1.2.2.1 können wir also die Verteilung des (statischen) Drucks auf Ober- und Unterseite bestimmen. Wenn du deine mathematischen Fähigkeiten trainieren willst, probiere es mit den Formeln in Abschnitt 5.1.1.5 aus! Du solltest erhalten
Nebenbei: Dies ist der Druckbeiwert cp. Auf aerodynamische Beiwerte kommen wir später zurück.
Mit oben stehender Beziehung ist Abb. 5.1.2.2.2 (Druckverteilung) entstanden. Beachte, dass mit Druckdifferenz der Unterschied zwischen örtlichem Druck und Anströmdruck gemeint ist.
5.1.2.3 Druckpunkt
Dass das infolge der Umströmung entstehende Druckfeld um ein Profil an jeder Stelle der Oberfläche Luftkräfte erzeugt, weißt du bereits. Wir hatten die an jedem einzelnen Flächenelement wirkenden Kräfte zu einer einzigen Resultierenden zusammengefasst. Sieh dir dazu nochmal Abb. 5.1.1.6.2 (Resultierende Luftkraft, Button drücken) an!
Die Stelle, an der die Wirkungslinie der resultierenden Luftkraft die Profilsehne schneidet, bezeichnet man als Druckpunkt.
Wir hatten ganz am Anfang (siehe Abb. 5.0.1 Kräfte am Flugzeug, Button drücken) vorausgesetzt, dass die Luftkraft so wie das Gewicht im Schwerpunkt angreift. Das ist auch richtig, da es sich dort um die vom gesamten Flugzeug erzeugte Luftkraft handelt.
5.1.2.4 Aerodynamische Beiwerte
Du kannst sogar unterscheiden zwischen dem Kraftanteil in horizontaler Richtung, dem Widerstand, und jenem in vertikaler Richtung, dem Auftrieb.
Beide Kräfte werden größer, wenn das Auto schneller fährt. Sie sind also von der Geschwindigkeit abhängig, genauer gesagt vom Staudruck. Den kennst du schon und weißt, dass außer der Geschwindigkeit auch noch die Luftdichte darin steckt. Du würdest einen Unterschied merken, wenn das Auto nicht in Meereshöhe, sondern im tibetischen Hochland unterwegs wäre.
Außerdem spielt die Größe deiner Hand eine Rolle: Zieh dicke Handschuhe an, und die Kräfte werden größer.
Schließlich ist auch noch entscheidend, wie du deine Hand hältst – ob du sie flach hältst oder verdrehst, oder ob du die Finger spreizt.
Übertragen wir diese Erkenntnisse auf einen Flügel:
Auftrieb und Widerstand sind proportional dem Staudruck q und der Flügelfläche S.
Dazu kommt noch ein Wert, der von der Profilform, der Stellung des Profils gegenüber der anströmenden Luft (Anstellwinkel α) und – besonders was den Widerstand betrifft – von der Re-Zahl abhängig ist. Diesen Wert bezeichnen wir mit c und unterscheiden zwischen Auftrieb und Widerstand per Index a bzw. w.
ca ist der Auftriebsbeiwert, cw ist der Widerstandsbeiwert.
Also können wir schreiben:
Auftrieb: A = q · S · ca Widerstand: W = q · S · cw
Diese Formel gehört zu den wenigen, die du dir merken solltest. Musst du zwar nicht, sie wird nicht abgefragt, aber wenn du sie kennst, kannst du viele Fragen direkt beantworten, ohne viel überlegen zu müssen. Schon lange gemerkt hast du dir die Formel für den Staudruck:
mit dieser wird Auftrieb: Widerstand:
Wenn du gut in Mathe und Physik bist, kannst du leicht herausfinden, dass sich aus den Einheiten von die Einheit der Kraft, nämlich N (Newton) ergibt. Da es sich bei Auftrieb und Widerstand um Kräfte handelt, muss folglich der jeweilige Beiwert die Dimension 1 haben.
Man sagt auch, der Auftriebsbeiwert und der Widerstandsbeiwert sind dimensionslose Zahlen.
Für Profile werden die Beiwerte in der Regel an Windkanalmodellen experimentell bestimmt. Man kann sie gut untereinander vergleichen, da Anblasgeschwindigkeit und Modellgröße für sie keine Rolle spielen (die Re-Zahl häufig doch!). Das ist so praktisch, dass Fachleute von „Auftrieb“ und „Widerstand“ reden, obwohl sie Auftriebsbeiwert bzw. Widerstandsbeiwert meinen. Pass also gut auf, aus dem Zusammenhang kannst du meistens erkennen, was gemeint ist.
Wenn du dir die Auftriebsformel gemerkt hast, weißt du ohne langes Nachdenken, was Sache ist:
Luftdichte ν, Geschwindigkeit V, Flügelfläche S und der Auftriebsbeiwert ca sind maßgeblich.
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Die Luftdichte kannst du nicht beeinflussen, sie ist durch deine Flughöhe gegeben.
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Auch an der Flügelfläche kannst du nicht drehen. Es gab zwar schon Segelflugzeuge mit im Flug veränderlicher Flügelfläche („Variable Geometrie“). Wohl eine feine Sache, aber viel zu aufwändig.
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Die Geschwindigkeit spielt für den Auftrieb die größte Rolle, denn sie geht quadratisch (V2 !) in die Formel ein. Das heißt, bei doppelter Geschwindigkeit wird der Auftrieb viermal so groß. Direkt steuern kannst du sie aber nicht.
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Bleibt noch der Auftriebsbeiwert, und den hast du im Griff! Nämlich über den Anstellwinkel, den du mit dem Höhensteuer
5.1.2.5 Bedeutung des Anstellwinkels
Hier ist der Auftriebsbeiwert über dem Anstellwinkel aufgetragen. Deshalb nennt man diese Darstellung ca - α - Kurve.
Wenn du das Bild ansiehst, fällt dir sicher auf, dass bei einem Anstellwinkel von 0° der Auftrieb nicht Null ist. Das ist bei gewölbten Profilen die Regel, nur bei einem symmetrischen Profil wird bei Anströmung in Richtung der Profilsehne kein Auftrieb erzeugt. Damit kein Auftrieb entsteht, muss bei gewölbten Profilen der Anstellwinkel negativ werden – der entsprechende Wert ist der Nullauftriebswinkel ao.
Bei normalen gewölbten (Starr-)Profilen, die bei heutigen Segelflugzeugen verwendet werden, ist der Widerstand bei einem Anstellwinkel von etwa 0° am geringsten. Wird er negativ – das Profil wird dann leicht „von oben“ angeblasen –, so nimmt der Widerstand zu, erst langsam, dann immer schneller. Steigt der Anstellwinkel im positiven Bereich nimmt er ebenfalls zu, erst einmal ziemlich gleichmäßig. Wird der kritische Anstellwinkel erreicht (warum er kritisch heißt, darauf kommen wir gleich), wächst der Widerstand dramatisch.
Das Profil der ASK 21 hat bei Anstellwinkeln etwa zwischen - 4° und + 8° einen recht niedrigen Widerstand. Wie groß der minimale Widerstandsbeiwert ist, hängt von der Re-Zahl ab. (Der Vollständigkeit halber: Die hier gezeigte Kurve gilt für Re ≈ 1,5 · 106)
Die Lilienthalpolare vermittelt sehr übersichtlich die wichtigsten aerodynamischen Eigenschaften und einen guten Eindruck von der aerodynamischen Qualität des Profils.
Bei symmetrischen Profilen liegt der Druckpunkt unabhängig vom Anstellwinkel bei 25% der Profiltiefe; dies ist der l/4-Punkt. Ein symmetrisches Profil ist druckpunktfest.
5.1.2.6 Strömungsablösung bei großen Anstellwinkeln
Strömende Luft neigt dazu, der gekrümmten Form der Flügeloberfläche zu folgen. Auch eine Flüssigkeit, die an einer gekrümmten Oberfläche entlangläuft, wird durch diese Form abgelenkt. Mit Hilfe eines Löffels unter dem Wasserhahn können wir dies sichtbar machen. xx xx xx Abb. 5.1.2.6.1 Strömung entlang einer Oberfläche |
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Abb. 5.1.2.6.1 Strömung bei kleinem | xxund bei großem Anstellwinkel |
Wir nennen dieses Phänomen Strömungsablösung. Warum es dazu kommt, damit beschäftigen wir uns im Kapitel 5.6 Überziehen und Trudeln.
5.1.2.7 Die Wirkung von Rudern und Klappen
Eine solche Drehklappe bewirkt nichts anderes als eine Verschiebung der ca - α - Kurve bzw. der Polaren zu höheren (positiver Ausschlag "+") bzw. niedrigeren ca - Werten (negativer Ausschlag "–").
Grund dafür ist die Änderung der Profilwölbung und des Nullanstellwinkels α0 infolge Klappenausschlag. Man misst den Anstellwinkel α zwar zwischen der Anströmrichtung und der beim Profilentwurf festgelegten Profilsehne (→ "geometrischer Anstellwinkel"), und dieser ändert sich durch den Klappenausschlag nicht. Geändert wird jedoch die Nullauftriebsrichtung, die den (eigentlich maßgeblichen) Nullanstellwinkel bestimmt.
Anker: Druckverteilung = gdf2d2; Druckpunkt = gdf2d3; Aero-Beiwerte = gdf2d4; Bedeutung A-Winkel = gdf2d5; Strömungsablösung = gdf2d6; Wirkung Ruder = gdf2d7
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